The Italian Way – Trail-Entwicklung und Community-Engagement im Vinschgau

Text (Original in Englisch) & Bilder von Tristan Hobson

Ich blieb kurz auf meinem Fahrrad stehen und beobachtete, wie die Sonne über dem Ortler in Südtirol, Italien, aufstieg. Ihre warmen Strahlen durchdrangen die herbstliche Luft, die meine Freunde umgab, die den Sonnenaufgang bewunderten. Schließlich kehrten wir vier, vom Hunger getrieben, den wilden Gletschern den Rücken zu, zogen unsere Jacken an und traten in die Pedale, um eine schwierige Abfahrt zu bewältigen. Nachdem wir uns in einer kleinen Hütte mit Kaffee und Kuchen aufgewärmt hatten, tauschten wir den technischen Trail des Vormittags gegen schnelle Lines durch Bauernhöfe und Wälder ein, bevor wir den Talboden des Vinschgaus erreichten. Von hier aus ging es gemütlich zurück zu unserer Pension inmitten von Apfelplantagen und dem vertrauten Treiben der Urlauber.

Das Vinschgau ist in der Mountainbike-Community längst kein Geheimnis mehr. Deswegen sind meine Freunde Paula, Marco und Francesco und ich Anfang September auf mit unseren Bikes angereist, um herauszufinden, was die Mountainbike-Trails in dieser italienischen Grenzregion so erfolgreich gemacht hat.

Die Neugierde auf diese Reise wurde im Frühjahr geweckt, nachdem ich in Innsbruck mit Francesco Drago und Marco Siedl unterwegs war. Im Laufe des Tages diskutierten wir über die Herausforderungen, denen sich der Mountainbikesport in verschiedenen Alpenregionen gegenübersieht, und darüber, wie der wachsende Sport oft mit Landbesitzern, Landwirten und der Tourismusindustrie konfrontiert ist, die scheinbar mehr an der Förderung des traditionellen Wander- und Freizeittourismus interessiert sind. Bei dem Gespräch fragten wir uns, warum der Mountainbikesport im Vinschgau boomt? Ein Ort, an dem die Trails oft über Privatgrund oder beliebte Wanderrouten führen, ohne dass die Forstverwaltung, die Grundbesitzer oder die Tourismusindustrie ein massives Problem damit haben.

In den kommenden Wochen telefonierte ich und suchte nach Antworten, bis ich schließlich Matze Grubby traf - geboren und aufgewachsen im Vinschgau, langjähriger Trailentwickler, Besitzer von Vinschgau Bike und Gründer von mountainbiker.it, der vorschlug, dass der beste Weg zur Beantwortung meiner Fragen darin bestünde, persönlich vorbeizukommen und vor Ort zu reden. Erfreut über dieses Angebot waren sich Marco, Francesco und unsere Freundin Paula Islinger - eine leidenschaftliche Endurofahrerin - schnell einig, dass eine Woche Italien perfekt für das komplizierte Reisejahr war.

Trail-Surfing in Latsch

Unsere erste Fahrt in dieser Woche führte uns zu den Berbahnen-Latsch. An der Spitze des verschlafenen Zweisitzer-Sessellifts fanden wir ein ansprechendes Netz flowiger Lines, die sich an alten Hirtenhütten vorbei den Berg hinunterschlängeln, über Anlieger, schnelle Geraden und gelegentlichen Drops. All dies, so erfuhren wir, trägt dazu bei, dass der Trail flowig bleibe und nicht so stark gebremst wird, was zu störenden Furchen und Wellen führt und umfangreiche Erosionspflege erfordert.

In Latsch wurden wir auch mit dem Konzept einer lokal engagierten Trail-Community bekannt gemacht. Ein solches Mitglied ist der Trail Doctor Gabriel Tappeiner. Der Bio-Apfelbauer und Trail-Bauer kam zu diesem Spitznamen, nachdem seine Leidenschaft fürs Mountainbiken zu einer Einladung führte, an den umliegenden Trails zu arbeiten. Wie beim Apfelbau verfolgte er auch beim Wegebau das Ziel, mit der Natur im Einklang zu sein. Das Ergebnis: Er entwirft und pflegt Trails, die die Gegebenheiten der Landschaft und natürliche Baumaterialien nutzen und somit die Umwelt kaum mehr belasten als ein Stück Singletrail.

Nachdem wir uns etwas eingefahren und unser Wissen aufgewärmt hatten, fuhren wir zum Vis-ã-vis-Café in Coldrano, einem Biker-Hotspot mit entspannter Atmosphäre inmitten von Palmen. Der Plan: ein abendliches Treffen mit Matze. Doch zuerst gab es auf Anraten von Francesco unseren ersten Apfelstrudel.

 

Zurück auf unseren Rädern, vor der Kulisse von Bauern, die ein Feld heuen, gab uns Matze einen Überblick über das Mountainbike-Gebiet. Im Vinschgau folgen die hoch aufragenden Gipfel der Alpen alten Militärwegen, die für anstrengende Anstiege sorgen, gefolgt von steilen, technischen Abfahrten, die ein Traum für Spitzkehren-Enthusiasten geworden sind. Dieser Singletrail rollt hinunter in das subalpine Ackerland, das in terrassierte Weinberge übergeht, bevor es in die Apfelplantagen des Talbodens übergeht. In diesem subalpinen Gebiet befinden sich die modernen Flowtrails und die ersten radspezifischen Routen.

Der berühmte Holly Hanson Trail

Der berühmteste dieser subalpinen Trails dürfte der Holly Hansen sein. Im Jahr 2011 war dies der erste von Matze gebaute Trail. Es war auch der erste Bike-spezifische Trail, der außerhalb eines Skigebiets in Südtirol entwickelt wurde, und das erste Mal, dass der Alpenverein und die Forst- und Nationalparkverwaltung externe Trailarbeiten genehmigten. Dies erforderte, wie wir erfuhren, einen Ansatz, der als "Italian Way" bezeichnet wird - Matze's Prinzip der Entschleunigung, des Gesprächs bei einem Kaffee und der Schaffung einer Gemeinschaft, die das Mountainbiken versteht und verbindet.

 

Matze erklärte, dass Holly Hansen nicht nur ein knappes Budget durch ehrenamtliche Arbeit strecken musste, sondern auch viel Geduld brauchte. Und vor allem die Bereitschaft, unzählige Stunden mit Landwirten, Hotels, Tourismusorganisationen, dem Forstamt und Genehmigungsausschüssen zu verbringen. Durch diese Erfahrung teilte er seine Ansicht, dass die Einholung von Genehmigungen und die Entwicklung eines Weges eine Aufgabe ist, die von den örtlichen Bikern übernommen werden sollte. Das Ergebnis ist etwas, das die Einheimischen motiviert, zu fahren, zu respektieren und zu pflegen. Im Gegensatz zu dem, was eine Planungs- oder Tourismusbehörde für erfolgreich hält. Aber, wie er erklärte, "dieser Prozess kann nicht weitergehen, ohne die Meinungen und Bedenken anderer zu respektieren und Zeit zu investieren, um sich hinzusetzen, zuzuhören und Probleme zu lösen, anstatt einfach Forderungen zu stellen oder über illelgale Wege den Prozess abzukürzen."

Enge Kurven und Wellen auf dem Propain Trail

Als wir das Gespräch beendeten, legten wir einen Gang zu und radelten zum Propain-Trail, einer weiteren Kreation von Matze. Während die Abendsonne unsere Abfahrt wärmte, entfaltete sich die Strecke vor uns, und wir schauten uns einen Trail an, der nach den Interessen der lokalen Fahrer gebaut wurde und den sie auch heute noch pflegen. Ich sah zu, wie Paula, Marco und Francesco in eine steile Rinne rollten, die Sprünge und perfekte Wellen für Tail Whips enthielt. Als ich das Trio um die Ecke verfolgte, fuhren sie staubige Schikanen den Hang hinunter, bevor sie in einer schnellen Traverse in einen Steingarten einbogen, der zurück ins Tal führte. Hätte mich nicht der Ruf des Abendessens und die frühe Schlafenszeit gepackt, wäre eine zweite Runde Pflicht gewesen.

Der Schartlkamm Trail – die beste alpine Tour in Südtirol?

Am nächsten Tag, als wir im Dunkeln am Shuttle Drop auf etwa 1.300 Metern standen, schaltete Marco eine tageslichttaugliche Stirnlampe ein und leuchtete Paula an, die sich in Schichten einpackte, um sich gegen die Kälte der frühen Morgenstunde zu wehren. Nachdem wir kurz mit Matze abgeklatscht hatten, traten wir drei in die Pedale, um Francescos Zeitplan mit dem frühen alpinen Start einzuhalten. Unser unkonventioneller Start für den Schartlkamm-Trail ergab sich aus der Notwendigkeit, einer Regenvorhersage auszuweichen und dafür den Sonnenaufgang zu nutzen. Marco, der notorische Langschläfer, hatte uns überzeugt, als er uns dazu ermunterte, dies sei "die beste alpine Tour in Südtirol". Auch ohne Blick auf den Ortler oder die Gletscher ist die Landschaft und die Vielfalt der Wege "ein Muss."

Als wir schließlich Francesco bei einer Vollbremsung einholten, setzten wir unsere Räder auf 2.447 Metern Höhe ab und genossen gemeinsam den Sonnenaufgang. Obwohl es sich nicht um einen technisch anspruchsvollen Anstieg handelte, waren die letzten Stunden ein Gedankenspiel gewesen, als wir einen steilen Wirtschaftsweg hinauffuhren, bevor wir einen Singletrail erreichten. Hier durchbrach das Licht der Morgendämmerung die Dunkelheit für ein kurzes Stück, bevor wir unsere Räder für die letzten 300 Meter schulterten. Die Anstrengung hat sich aber gelohnt, als wir den Sonnenaufgang über den Ötztaler Alpen beobachten konnten.

 

Der Weg machte Marcos Empfehlung alle Ehre. Nach dem Einstieg surften wir über einen Bergrücken, der sich in Almwiesen und Felsen aufteilte, bevor wir in die trockenen und staubigen Trails im Wald eintauchten. Die technischen und schnellen Passagen fordern nochmals volle Konzentration, bevor man schließlich auf einer Forststraße landet.

Bis zu diesem Punkt war es kein Problem, dem Weg zu folgen, und obwohl wir später gut markierte Wegweiser fanden, waren wir froh, das GPS zu haben, als wir unbefestigte Straßen überquerten. Die Empfehlung der Woche, GPS-Karten zu verwenden, die von den örtlichen Führern oder sogar von mountainbiker.it unterstützt werden, um sicherzustellen, dass man keine unnötigen Abkürzungen nimmt oder Privatgrundstücke überquert, hat unsere Irrfahrten auf dem Weg zum Haslhof reduziert. Nach einer Runde Kuchen, Kaffee und Entspannung feierten wir das Glück des guten Wetters mit einer Abfahrt über den Holly Hansen Trail. Dieser hat uns schnell gepackt und machte seinem Ruf alle Ehre.

Die nächsten Tage verbrachten wir damit, dem schlechten Wetter mit subalpinen Abfahrten, der obligatorischen Fahrradwartung und reichlich traditionellem Essen zu trotzen. Unsere Völlerei reichte von Käseplatten und Speck bis hin zu Knödel und frischen Nudeln. Aber unsere Lektionen waren noch nicht vorbei.

Trail Building am Aigen Trail

An einem unserer letzten Abende arbeiteten wir uns den Aigener Weg hinunter und folgten Matze mit Harken und Schaufeln in der Hand. Zunächst konzentrierte sich unser Gespräch auf die Instandhaltung und den Wiederaufbau von Strecken. Dabei kam er auf seine Verurteilung von Abkürzungen um jeden Preis zu Gunsten des Fahrens, des Schutzes und der Instandhaltung der bestehenden Strecken zu sprechen. Er schlug jedoch vor: "Für die Erbauer von Wanderwegen ist es wichtig, sich frühzeitig zu überlegen, wo und warum Biker abkürzen. Wenn diese neuen Strecken dann für den natürlichen Fluss des Trails besser geeignet sind, sollten sie ausgebaut werden, während der ursprüngliche Abschnitt gesperrt wird, um das Nachwachsen zu unterstützen." Dies sollte jedoch durch eine koordinierte Instandhaltung der Wege geregelt werden, und nicht durch die willkürliche Einzelmeinung eines jeden Radfahrers.

 

Am Wegesrand sitzend, verlagerte sich das Gespräch wieder auf die Gemeinschaft und die Rolle, die jeder für die Offenhaltung der Wege spielt. Wenn man zum Beispiel auf Wanderer Rücksicht nimmt und freundlich zu anderen Wegebenutzern ist, hilft das, das Stigma des Radfahrens abzubauen, was dazu führt, dass Hotels und Tourismusorganisationen sich für die zukünftige Entwicklung und Finanzierung einsetzen.

Durch seine Zusammenarbeit mit der International Mountain Bike Association in den Vereinigten Staaten hat Matze viele Grundsätze übernommen, die dem Mountainbikesport vor Ort zum Erfolg verhelfen. Bei der IMBA beobachtete er zum Beispiel gut organisierte Trail-Bautage, die von freiwilligen Fahrern unterstützt werden, und eine Organisation, die nachhaltiges Mountainbiken in Bezug auf die Entwicklung, die Landschaft und die gemeinsame Nutzung der Trails fördert. Im Vinschgau haben diese Prinzipien Biker zusammengebracht, von Sportlern und Guides bis hin zu Landwirten, Geschäftsinhabern und Bürgermeistern, die alle daran interessiert sind, das Biken in einer Region mit gemischter Nutzung zu fördern. Zu den Ergebnissen gehören bessere Wegmarkierungen, Vorfahrtsschilder und Vereinbarungen zur Festlegung bestimmter Shuttle- und Radfahrzeiten auf gemischt genutzten Wegen.

Der endlose Goldsee Trail

Am nächsten Morgen strampelten wir zu unserem üblichen Treffpunkt in Schlanders, wo wir einen anderen Einheimischen trafen, der sich darauf freute, mit uns eine andere Art von Bike-Erlebnis zu teilen, nämlich eine Shuttle-Tour zum Stilfserjoch in der Morgendämmerung. Obwohl der Start auf dem Goldsee-Trail um 9:00 Uhr obligatorisch ist, um der Vereinbarung zwischen Radfahrern und Wanderern gerecht zu werden, wollten wir den Sonnenaufgang über dem Ortler nicht verpassen. Nach einer kurzen Wanderung und einem knackigen Tritt in die Pedale standen wir also zu viert da und beobachteten das Schauspiel aus Rot-, Rosa- und Violetttönen, das den Ortler überzog. Damit sind wir wieder am Ausgangspunkt der Geschichte angelangt und fahren 3.000 Höhenmeter durch die Wolken zurück ins Tal.

 

Als wir auf dem mit Äpfeln gesäumten Radweg nach Hause radelten, besprachen wir die Pläne für unseren letzten Tag. Wir waren auf dem Weg zum Reschensee, um die Enduro-Strecken der Schönebenbahn zu fahren. Aber an knallharte Resort-Runden dachte ich nicht. Stattdessen fragte ich mich laut: "Hatten wir Antworten auf unsere Fragen gefunden, oder war dies nur ein Vorwand, um mit Freunden zu fahren?"

Unser Fazit zu Trailbau, Community-Engagement, Nachhaltigkeit und Kommunikation

Als wir über die vergangene Woche sprachen, half Paula mir meine Frage zu beantworten. "Es ist interessant zu sehen, wie viel Diskussion und Kommunikation es hier zwischen den Landwirten, Bikern, Tourismusverbänden und Förstern gebraucht hat, um die Akzeptanz für das Mountainbiken zu schaffen. Das ist ein ganz anderer Aspekt der Bike-Community, über den wir selten sprechen oder dem wir kaum Beachtung schenken."

"Diese Woche hat mich in meiner Vision bestärkt, einen Laden zu gründen, in dem sich Biker treffen können und in dem zukunftsweisende Ideen rund ums Radfahren entwickelt werden", fügte Marco hinzu. Er bezog sich dabei auf den Laden Dust Bikes in Innsbruck, dessen Konzept er gerade fertigstellte. Francesco, ein POW Community Organizer, warf ein, dass die Gespräche der Woche ihn in seiner Ansicht bestärkten, "keine Linien abzukürzen oder illegalen Trailbau zu unterstützen. Das schadet nicht nur der Umwelt, sondern wie wir besprochen haben, müssen wir uns selbst organisieren, wenn wir mit unseren lokalen Trails nicht zufrieden sind".

Ich glaube, da habe ich endlich begriffen, was wir gesammelt hatten. Es war nicht die goldene Antwort, die jede Region nachahmen kann. Vielmehr war es die Einsicht, dass nachhaltiges Wachstum im Bikesport in den Händen der Gemeinschaft liegt, von uns allen. Dies ist nicht nur eine Gemeinschaft, in der man gerne fährt, sondern auch eine Gemeinschaft, in der man zusammenkommt, um an dem zu arbeiten, was wir bereits haben, oder was wir in Zukunft wollen, sowie an gemeinsamen Arbeitstagen.

Und wenn die örtlichen Landverwalter oder Gemeinden gegen das Radfahren sind, sollte man den "Italian Way" in Betracht ziehen: langsam fahren, gemeinsam einen Kaffee trinken und sich die Zeit nehmen zuzuhören und nachhaltige Lösungen zu diskutieren.