Mountainbiken in Stuttgart: der Kessel voller Trail-Potenzial
Wer den Reiz am Mountainbiken in Stuttgart verstehen will, beginnt am besten am belebten Marienplatz in der Südstadt. Jugendliche zeigen den Gästen der umliegenden Cafés lässig ihre Wheelie-Künste, während eine Gruppe Mountainbiker*innen neben ihren Fahrrädern auf dem Boden sitzt und Döner vom nahegelegenen Grillimbiss genießt.
Der Marienplatz ist nicht nur beliebter Ausgangs- und Zielort vieler MTB-Touren in die umliegenden Wälder, sondern auch Haltestelle der "Zacke" - der Zahnradbahn, mit der Fußgänger*innen und Fahrradfahrer*innen bequem hinauf nach Degerloch kommen.
Dort oben, an den bewaldeten Rändern rund um den Stuttgarter Kessel, warten erstaunlich viele lohnende Trails auf die Mountainbiker*innen der Stadt - "geöffnet" sind davon aber nur insgesamt drei. Geöffnet bedeutet hier: Legal oder offiziell sind sie nicht, geahndet wird es aber nicht, wenn man auf ihnen fährt.
Wie mehr legale Trails in Stuttgart der Natur helfen würden
Unter anderem diese Nähe zwischen Trails in der Natur und der Landeshauptstadt ist es, was Steffen Reichmann so begeistert. Er ist ehrenamtlicher Gruppenleiter bei den „Kesselradlern“, der MTB-Abteilung des DAV-Schwabens. Gemeinsam mit anderen Mitgliedern kümmert er sich um den geöffnetenTrail "KB2". Es sei ein langer Weg gewesen, bis dieser und die zwei anderen Trails diesen Status bekamen, noch immer gebe es sehr viel mehr illegale Trails.
"Ein größeres Angebot offizieller Trails würden ja nicht nur den Bikerinnen und Bikern zugutekommen, sondern auch der Natur: Ein attraktives Angebot würde die Leute besser lenken, sodass man sensible Naturbereiche besser schützen könnte."
Dass man die Mountainbiker*innen lenken sollte, macht die schiere Anzahl mehr als deutlich: Schätzungsweise 60.000 sind es in und um Stuttgart „Mountainbike Stuttgart e.V.“ zufolge.
KB2-Trail in Stuttgart ist für alle Fahrlevel ein Genuss
Trailpate für den KB2 ist Philipp. Seit etwa 15 Jahren ist er in den Wäldern rund um Stuttgart mit dem MTB unterwegs. Als Trailpate muss er regelmäßig die Strecke kontrollieren und einmal pro Monat einen Bericht an den zuständigen Förster schicken, in dem er bestätigt, dass alles passt: beispielsweise, dass keine Gefahrenstellen wie umgefallene Bäume, Abkürzungen oder neue Elemente entstanden sind. An einem Oktobertag sind zwei VAUDEler mit ihm auf dem KB2 unterwegs.


Gemeinsam starten sie in den Trail. Anfangs geht es steil nach unten, danach steil nach oben – das Achterbahnfeeling zieht die Mundwinkel hoch. Kleine Wellen locken Anfänger*innen und Profis gleichermaßen: Die einen tasten sich vorsichtig an das Springen heran, die anderen ziehen ab und werden mit guter Airtime belohnt. Absätze wechseln sich mit Kurven ab, die Gruppe ist im Flow und kommt mit dickem Grinsen in den Gesichtern unten bei Schrebergärten an.


Holt die Klappspaten raus
Dass der Trail alle Fahrlevel anspricht, ist natürlich kein Zufall: "Ich achte darauf, dass er seinen Charakter mit vielen kleinen Spielereien behält", sagt Philipp. Wenn er in seiner Funktion als Trailpate mit dem MTB unterwegs ist, hat er oft einfach seinen Klappspaten im Rucksack. "Für mich gehört das zum Biken dazu, dann noch 30 bis 45 Minuten den Trail auszubessern." Heute möchte er die Strecke mit Steinen befestigen, dort wo sich häufig Pfützen und Matschlöcher bilden. Denn wenn Mountainbiker*innen dort durchfahren, wird der Trail immer ausgewaschener oder breiter.
Also noch mal hochpedalieren und die Klappspaten auspacken. Ein Teil der Gruppe lässt das Wasser der Pfützen über Gräben abfließen und buddelt Senken für Steine, die den Trail befestigen. Andere schaufeln Erde in Taschen und hieven sie auf den Trail; dort schütten sie die Erde aus, um die Pfützen aufzufüllen und den Trail auszubessern. Es riecht nach feuchter Erde, durch den Wald hallt das Klingeln des Spatens, ab und zu keucht jemand vor Anstrengung.


Philipp engagiert sich nicht nur beim DAV, sondern auch beim "Mountainbike Stuttgart e.V.". Dieser Verein betreut die zwei anderen "geöffneten" Trails, "Arizona" und "Indiana" sowie die Downhill-Strecke "Woodpecker". Dem 2. Vorsitzenden Felix Gaiser und Philipp geht es nicht so sehr um den Verein, alsvielmehr um die Sache: die MTB-Community in Stuttgart und gemeinsam offiziell genehmigte Trails zu schaffen. Damit sind sie nicht allein: "Viele sind in beiden Vereinen", sagt Philipp.
Seit 2020 gibt es den "Mountainbike Stuttgart". Felix ist ebenfalls bei der Ausfahrt dabei. "Am Anfang sind die Mitgliedszahlen explodiert", sagt er. Mittlerweile sind es ihm zufolge etwa 1.500 Mitglieder. Der DAV-Schwaben hat laut Steffen etwa 40.000 Mitglieder, etwa 200 davon seien auch ehrenamtlich im MTB-Bereich der Gruppe aktiv.


Zwei Vereine - eine Community
Während Ben und Philipp weiter schaufeln und einen Stein heranschleppen, erzählt Ann-Christin, was ihr so an Stuttgart als MTB-Standort gefällt. Sie organisiert für die DAV-Sektion im Sommer jede Woche mindestens eine Tour in und außerhalb von Stuttgart. "Für mich ist es die Community", sagt sie.


Gemeinsam draußen sein, Spaß am Biken haben und spielerisch besser werden gehört für sie dazu. Aber auch zu sensibilisieren für das Miteinander und die Naturverträglichkeit. Sind die Trails nass, geht es nur über Schotter; sonst werden die Trails zusätzlich ausgespült und von Jahr zu Jahr breiter.
Ben und Philipp haben inzwischen zwei Wellen erneurt. Philipp überspringt die zweite Welle, landet aber zu weit rechts. "Man muss in der Kurve vorher schon ausholen", meint er - und kommt beim zweiten Versuch sauber über die zwei Hügel.


Zufrieden packt die Gruppe Klappspaten und Säcke wieder in die Rucksäcke. Ein paar Tiefenmeter warten noch. Weiter geht es über flowige Passagen mit kleinen Anliegern und ein paar wurzelige Stellen. Man surft von Kurve zu Kurve immer weiter hinab. Noch ein steileres Wurzelfeld und die Gruppe ist wieder am Waldrand bei den Schrebergärten.


Vom Trail in die Stuttgarter Innenstadt
Von dort sind es gerade mal etwa fünf Minuten mit dem MTB in die Stuttgarter Innenstadt. Immer mal wieder fährt Philipp auf dem Hinterrad; Mountainbiken geht auch in der Stadt. Bei einem Grillimbiss holt sich die hungrige Gruppe ihr Mittagessen, rollt weiter zum Marienplatz und isst dort zufrieden Döner und Falafel.
Die Gedanken wandern: Was für ein Kontrast! Eben noch auf dem Trail und jetzt mitten in der Stadt. So viele wunderbare Trails liegen nur wenige Kilometer entfernt – und nur drei davon sind geöffnet, wie es hier heißt. So viel Potenzial! Dennoch macht es Mut zu sehen, wie sich lokale Communities engagieren und Lösungen vorantreiben.


"Hey, was für ein Zufall", sagt Philipp plötzlich und unterbricht damit den Gedankenstrom. Er begrüßt einen heranschlendernden Mountainbiker. Es ist Gabi, zuständig für den Instagram-Auftritt der MTB-Gruppe des DAV Schwabens, "die Kesselradler". Er hat Bock auf eine Runde Biken und schließt sich kurzerhand an.


Gemeinsam geht's an diesem Tag mit der Zacke wieder hoch, sodass die Gäste den Ausblick auf die Stadt genießen können. Während die ihren Heimweg an den Bodensee antreten, gönnen sich die Stuttgarter*innen noch eine weitere Abfahrt durch den Wald den Kessel hinab, zurück in das Treiben der Stadt.
Erfahre mehr darüber, wie sich lokale Initiativen für legale Trails einsetzen:
- Die Paten: legale Mountainbike-Trails im Rems-Murr-Kreis
- The Italian Way – Trail-Entwicklung und Community-Engagement im Vinschgau
Wie ein entspanntes Miteinander auf den Trails gelingt, hat Ben auch schon im VAUDE Podcast mit Nico Graaff vom Mountainbike Tourismusforum Deutschland diskutiert.